Wir brauchen einen klaren Plan, der weit in die Zukunft reicht!
Bei der Auftaktveranstaltung des Stakeholderdialogs zur Langfriststrategie Negativemissionen (LNe) geben CDRterra-Forschende wissenschaftliche Handlungsempfehlungen für ihre Ausgestaltung.
Um die globale Erwärmung bis 2100 auf 1,5 Grad zu begrenzen, muss die Menschheit bis zur Mitte des Jahrhunderts Kohlendioxidneutralität erreichen und danach netto negative Emissionen anstreben. Die Reduktion von Emissionen hat dabei oberste Priorität und muss mit Abstand den größten Beitrag leisten. Es wird jedoch Restemissionen geben. Diese müssen wir mit der Entnahme einer gleichwertigen Menge an CO₂ aus der Atmosphäre (englisch: Carbon Dioxide Removal, CDR) ausgleichen. Welche Entnahmekapazitäten wir in Deutschland mittel- und langfristig benötigen und wie wir diese aufbauen können, muss jetzt im Rahmen der Langfriststrategie Negativemissionen (LNe) diskutiert werden. Zum Auftakt des Stakeholderdialogs zur LNe haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprogramm CDRterra zur landbasierten CO₂-Entnahme Empfehlungen für die Ausgestaltung dieser Strategie entwickelt und in einem Policy Brief zusammengefasst.
Deutschlands Klimaschutzziele erfordern umsichtige CO₂-Entnahme im großen Stil
Ab 2045 werden wir Restemissionen in Höhe von mindestens 60 bis 130 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten pro Jahr ausstoßen. „Wenn Deutschland diese ausgleichen und seine Klimaziele erreichen will, braucht es eine CO₂-Entnahme im großen Maßstab. Basis für den Aufbau eines entsprechenden CO₂-Entnahmesektors, der auch andere Nachhaltigkeitsziele nicht gefährdet, muss eine nationale CDR-Langfriststrategie sein, die weit über den geplanten Zeitpunkt der Treibhausgasneutralität hinausreicht”, sagt CDRterra-Sprecherin Prof. Dr. Julia Pongratz von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München bei der Auftaktveranstaltung des Stakeholderdialogs zur LNe der Deutschen Energie-Agentur (dena) am 28. Mai 2024 in Berlin.
„Die Strategie sollte klare Vorstellungen über den Regulierungsrahmen und mögliche Finanzierungsmodelle enthalten, aber auch darüber, wie Risiken bewertet und abgewogen werden. Das gibt Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft langfristige Investitions- und Planungssicherheit sowie die Motivation, entsprechende Entwicklungen anzuschieben. Mit ambitionierten und verbindlichen Entnahmezielen für die kommenden 20 Jahre und für die Zeit darüber hinaus würde sich Deutschland zudem als Vorreiter in der CDR-Politik positionieren”, so Pongratz weiter.
Eine langfristige CDR-Strategie sollte folgende Fragen klären:
Wie hoch ist der Entnahmebedarf in Deutschland?
Es muss geklärt werden, wie hoch die zu erwartenden Restemissionen ausfallen und wie viel CO₂ Deutschland der Atmosphäre mittelfristig (bis 2045) und langfristig (nach Erreichen der Treibhausgasneutralität) entnehmen muss. Entsprechende Berechnungen und Szenarien sollten von der Wissenschaft erstellt werden.
Reicht das Entnahmepotenzial in Deutschland aus?
Die Strategie muss darlegen, ob das Potenzial konventioneller und neuer Entnahmeverfahren innerhalb Deutschlands ausreicht, um den Bedarf mittel- und langfristig zu decken.
Ein Teil der erforderlichen CO₂-Entnahme soll durch konventionelle CDR-Verfahren erfolgen, wie das (Wieder-)Aufforsten von Wäldern. Darüber hinaus werden neue CO₂-Entnahmemethoden benötigt – zum Beispiel die direkte CO₂-Abscheidung aus der Umgebungsluft mit anschließender Speicherung (englisch: Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS). In Deutschland werden diese bislang jedoch kaum eingesetzt. Erfahrungen zu ihrer Umsetzung fehlen noch. Alle zur Verfügung stehenden Methoden müssen deshalb umfassend hinsichtlich ihrer Erfolgsraten, Kosten, Risiken und Wechselwirkungen bewertet werden.
Wie kann der Hochlauf der CO₂-Entnahme gelingen?
Die Langfriststrategie muss skizzieren, wie der massive Ausbau vielversprechender CO₂-Entnahmeverfahren gelingen und auf welche Weise er finanziert werden kann. Im Zuge dessen sollte auch geklärt werden, ob grenzüberschreitende Kooperationen notwendig sind – zum Beispiel beim Ausbau der nötigen CO₂-Transportinfrastruktur – und wie diese umgesetzt werden können.
Wie kann eine CO₂-Entnahme gelingen, ohne dass sie die Treibhausgasvermeidung einschränkt?
Alle neuen CO₂2-Entnahmepläne sollten mit Strategien und Zielsetzungen zur Vermeidung oder Reduktion von Treibhausgasemissionen verzahnt werden – sowohl auf nationaler (Klimaschutzgesetz, Biomasse- und Kreislaufwirtschaftsstrategie sowie Carbon-Management-Strategie) als auch auf EU-Ebene („EU Industrial Carbon Management Strategy” und EU-Klimaziel für 2040).
Essenziell dabei ist, dass eine CO₂-Entnahme möglichst keine anderen Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen einschränkt oder ersetzt.
Wie kann die Akzeptanz in der Gesellschaft gesteigert werden?
Eine nationale Langfriststrategie zur CO₂-Entnahme wird nur dann eine breite Zustimmung in der Bevölkerung erhalten, wenn sie in Zusammenarbeit aller gesellschaftlich relevanten Akteure entsteht. Die Bundesregierung sollte daher für eine breite Beteiligung an ihrer Entwicklung werben – zum Beispiel in Wirtschaft und Industrie, da sie einen wichtigen Beitrag zum Ausbau der technischen Entnahmekapazitäten leisten müssen.
Der Einsatz von CO₂-Entnahmeverfahren im erforderlichen Maßstab kann auch eine Vielzahl von Nutzungs- und Verteilungskonflikten hervorrufen – zum Beispiel einen Wettstreit um Landflächen, Wasser oder erneuerbare Energien sowie Auseinandersetzungen darüber, welche Akteure finanziell von der CO₂-Entnahme profitieren und welche die Folgekosten tragen müssen. Deshalb sollte die Strategie Leitlinien für ein robustes Entnahmeregelwerk und verlässliche Anreizmechanismen sowie Instrumente zur Konfliktlösung vorsehen. Klare und möglichst einheitliche Beobachtungs-, Kontroll-, und Berichtsvorschriften für die verschiedenen Entnahmemethoden fördern ebenfalls die öffentliche Akzeptanz.
CDRterra-Forschung liefert wissenschaftliche Basis für Strategieentwicklung
CDRterra-Wissenschaftler:innen untersuchen bereits seit bald drei Jahren die Machbarkeit und Risiken vielversprechender CO₂-Entnahmeverfahren an Land. Die Forschungsergebnisse liefern wichtige Anhaltspunkte zum natürlichen und technischen CO₂-Entnahmepotenzial in Deutschland sowie zu vorhersehbaren Landnutzungs- und -verteilungskonflikten und deren Lösung. Sie können deshalb als wissenschaftliche Basis für den anstehenden Strategieprozess dienen.
Über CDRterra
Im Forschungsprogramm CDRterra untersuchen über 100 Forschende in zehn Verbundprojekten, wie und in welchem Umfang landbasierte CO₂-Entnahmemethoden zur Begrenzung des Klimawandels beitragen können. Ziel ist die Entwicklung eines umfassenden Bewertungsrahmens für CDR-Methoden und -Portfolios. Dieser soll als Wissensgrundlage dienen, auf der ein sinnvoller Mix an Methoden zur CO₂-Entnahme für Deutschland entwickelt werden kann. CDRterra wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit circa 21 Millionen Euro für zunächst drei Jahre gefördert. Es ist im Oktober 2021 gestartet und wird von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München koordiniert.
Pressekontakt:
Karin Adolph
PR-Managerin CDRterra
Telefon: 089 21806594
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